Tónis Hunde-Runden-Geschichten

 

Ein altes Foto

 

Im Wohnzimmer war wieder einmal dringend ein Tapetenwechsel fällig, der Ansicht waren zumindest meine Menschen und sie machten sich gleich daran, ein ordentliches Durcheinander zu veranstalten. Möbel wurden weg gerückt, Schränke wurden ausgeräumt und umgestellt. Dabei kamen sie an den Schrank in dem die alten Fotoalben aufbewahrt werden. Einen ganzen Stapel davon hatte sich Frauchen hochgetürmt auf die Arme geladen, als ein Foto, wie ein buntes Herbstblatt zu Boden segelte. Rasch legte sie den Stapel beiseite, um das Bild aufzuheben.

 

Es zeigte Flecki, wie sie vor 26 Jahren im Alter von drei Monaten bei uns eingezogen war, damals war sie gerade vier Monate jünger als Frauchens erster Welpe.

„Weißt du noch, was wir damals alles erlebt haben?“, fragte sie Herrchen.

„Da fällt mir jetzt als erstes die Geschichte mit dem verschwundenen Käsekuchen ein, ach ja und das mit dem Schuhschrank.“

Auch Frauchen erinnerte sich sofort an zahlreiche Begebenheiten und meine Leute schwelgten in alten Erinnerungen.

 

Wie ich aus den Erzählungen meiner Leute verstanden hatte, war Flecki eine von zehn Folgen eines heimlichen Treffen, zwischen einer Labradorhündin und dem benachbarten Foxterrier, der sich dazu unter dem Zaun durchgebuddelt hatte.

In Flecki vereinten sich die charakteristischen Eigenschaften beider Rassen, sie verfügte über die Menschenfreundlichkeit die sowohl auf den Labrador als auch auf den Terrier zutrifft, verfressen war sie ihr Leben lang aber auch der Schneid und die Eigenständigkeit eines Terriers ließen sich nicht verleugnen.

Besucher wurden von ihr stets freundlich, wenn auch lautstark begrüßt. Ihr Stand der Sinn mehr nach weichkauen, als nach apportieren. Einem Spiel mit Artgenossen war sie zwar nicht abgeneigt, aber wehe ihr passte etwas nicht an ihrem Gegenüber, dann wurde wild gekläfft. Für Kinder war Flecki immer ein geduldiger und ausdauernder Spielpartner, der niemandem so schnell etwas übel nahm, wobei sie aber auch keinen Trick scheute, um den Kindern das Eis abzuluchsen.

 

„Die Sache mit dem Schuhschrank war nicht Flecki’s Schuld, das hatten wir uns selbst zuzuschreiben.“, und Frauchen begann die Erinnerung aufzufrischen.

„Es war doch so, dass wir damals gerade das Alleinbleiben übten, was für Flecki nicht so einfach war und deshalb wollten wir  auch nur einmal kurz um den Block gehen, es hätte normalerweise höchstens zehn Minuten gedauert. Leider trafen wir an diesem Abend einen Bekannten und kamen ins Quatschen und es dauerte um einiges länger als geplant. Wie wir später noch erfahren haben, hatte zu unserem Pech in der Zwischenzeit auch noch jemand geklingelt. Flecki dachte bestimmt, dass wir gleich heim kommen würden und hat vor Freude wie wild mit der Rute gewedelt, so wie sie es auch später immer machte. Die Verkettung  unglücklicher Zufälle nahm ihren Lauf, denn dadurch, dass der Schwanz gegen den Rattanschrank schlug, öffnete sich der Magnetverschluss des Schuhschranks, kurz gesagt, um sich die Wartezeit zu vertreiben, begann die sie mit den Schuhen zu spielen.

Ich weiß noch, es war damals kurz vor Weihnachten und als wir nach Hause kamen, waren nur noch die Schuhe zu gebrauchen, die wir gerade an hatten. An jedem Paar hatte Flecki einen Schuh mit ihren Zähnen bearbeitet. Nun ja, vielleicht hat ihr diese Aktion wenigstens den Zahnwechsel etwas erleichtert. Ängstlich wirkte sie auf mich bei unserer Heimkehr jedenfalls nicht.“

„Auf mich auch nicht, aber dass sie mir den halben Käsekuchen weggefuttert hat, werde ich ihr nie vergessen!“, sagte Herrchen.

„Du und dein Käsekuchen, aber ehrlich gesagt, ist mir diese Sache bis heute ein Rätsel und wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, würde ich die Geschichte nicht glauben. Ich weiß es noch genau, damals waren die Winters mit ihren Kindern zu Besuch und ich hatte einen Käsekuchen gebacken. Nach Kaffee und Kuchen gingen wir mit den Kindern zum nahegelegenen Spielplatz. Bevor wir das Haus verließen, erinnerteste du mich noch daran, die übrig gebliebene Kuchenhälfte „fleckisicher“ wegzuräumen, denn du warst um deinen Lieblingskuchen sehr in Sorge. Den Kuchen parkte ich ganz hinten, neben der Kaffeemaschine,  auf der Arbeitsplatte in der Küche, sicherheitshalber stellt ich noch einen Topf davor.

Nachdem wir vom Spielplatz zurück waren zog es dich sogleich, wie ein Magnet in die Küche, gefolgt von einem entsetzten Ruf:

< Wo ist denn mein Kuchen? Das kann doch nicht wahr sein! >

Auf der Kuchenplatte befanden sich lediglich noch ein paar Krümel, die übrig gebliebene Hälfte des Kuchens war weg, der Topf, den ich sicherheitshalber davor gestellt hatte, stand noch  genauso an seinem Platz. Flecki war nie ein Hund der zum Klettern oder Springen neigte, es befand sich auch kein Stuhl oder Tisch in der Nähe, den sie als „Leiter“ hätte benutzen können, aber sie muss es dennoch irgendwie geschafft haben.

Der halbe Käsekuchen ist ihr zum Glück gut bekommen, sie hatte anschließend keinerlei Probleme.“, seufzte Frauchen.

„Die Vorliebe zum Buddeln hatte Flecki zweifellos von ihrem Vater geerbt, auch ihr ist es einige Male gelungen, sich unter dem Gartenzaun durchzugraben, um einen benachbarten Hundefreund zu besuchen. Nachdem Flecki damals zum zweiten Mal auf diese Weise verschwand, riefen wir gleich dort an und fragten nach, ob Toni schon an deren Haustür steht. Diese erwiderten mit der Frage, ob Flecki sich wieder allein auf Wanderschaft begeben habe. Und es dauerte nie lange, bis sie dort eintrudelte und von Toni freudige erwartet und von dessen Frauchen in Empfang genommen wurde. Nach dem dritten Mal beobachteten wir genau, wo sich die Schwachstelle im Garten befand und vorbei war es mit den Alleingängen. Wahnsinn, dass das alles schon so lange her ist, aber man braucht sich nur ein altes Foto ansehen und schon hat man das Gefühl es wäre erst gestern gewesen.“, meint Herrchen.

 

Jetzt bin auch ich voll im Bilde und weiß endlich, wessen Portrait dort über dem Kamin hängt, hoffentlich hinterlasse auch ich eines fernen Tages ebenfalls einen so bleibenden Eindruck in ihrer Erinnerung.

 

 

© Ute Dissemond, Feb. 2014